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Bärtierchen, heimliche Bewohner unserer Badeseen und Feuchtgebiete

Die trolligen Wassertiere überdauern extreme Umweltbedingungen in einem todesähnlichen Zustand.

Unter dem lateinischen Namen Tardigrada ordnete 1777 Spallanzani die Bärtierchen in das Wissenschaftliche Kategorie-System ein. Tardigrada stammt aus den lateinischen Wörtern tardus und gradus, was so viel wie „langsamer Schritt“ bedeutet. Sie gehören zum Stamm der Häutungstiere und besiedeln den gesamten Globus. Einige Arten leben im Meer, wieder andere im Süßwasser und in feuchten Lebensräumen an Land.

Die meisten Arten gelten als Überbleibsel einer Pangaeus-Fauna, die bereits vor der erdgeschichtlichen Epoche der Trias bestand. Die kleinen Gliedertierchen sind je nach Art etwa 0,1 bis 1,2 mm groß. Sie besitzen vier stummelförmige Beinpaare, die am Rand auffällig große Krallen zeigen, womit sie langsam umherwandern können. Wenn man sie krabbeln sieht, ist klar, warum man sie Bärtierchen nennt. Ihr Körper besteht aus einem vorderen Kopfabschnitt und vier nachfolgenden Bein tragenden Segmenten. Die Körperoberfläche besteht aus quellfähigen, wasserdurchlässigen Eiweißstoffen, die bei vielen Festlandarten zu einer stark verdickten Plattenpanzerung werden. Der Vorderdarm der Tierchen besteht aus einem Mundrohr mit einem Stilettapparat und einem muskulösem Schlundkopf als Saugapparat. Im Anschluss folgt der breitere Mitteldarm und der Enddarm. Da die Bärtierchen einen relativ kleinen Körper besitzen, benötigen sie keine Atmungs- und Kreislauforgane. In den zwei seitlichen Lappen am Oberschlund sind paarige Augen eingelagert mit jeweils nur einer einzigen Sehzelle. Viele Bärtierchen verfügen über punktförmige, entweder rot oder schwarz gefärbte Augen. Bei anderen Arten befinden sich auf den Rumpfsegmenten borstenförmige Sensillen, die auf Berührungsreize reagieren. Der relativ plumpe, walzige Körper ist auf der Unterseite etwas abgeflacht. Die Färbung besteht aus Pigmenten in der Außenhaut oder durch den durchscheinenden, farbigen Inhalt der Leibeshöhle. Bei land- und süßwasserlebenden Formen ist in der Außenhaut eine Pigmentierung in den Farbtönen rot, gelb, lila, grün oder schwarz zu finden. Die Stummelbeine bestehen aus gelenklosen Ausstülpungen des Rumpfes und nach außen wird der Körper mit einer nichtzelligen Außenschicht, oft mit Dornen, Höckern oder Grübchen versehen, begrenzt. Diese Haut wird zusammen mit den Beinklauen und der Auskleidung der Leibeshöhle regelmäßig gehäutet. Die Leibeshöhle ist mit farblosem Blut gefüllt, das nicht der Sauerstoffaufnahme dient. Da kein eigener Blutkreislauf existiert, ebenso kein Herz, zirkuliert es durch Körperbewegung. Dagegen ist es mit unzähligen frei schwebenden oder an Basislaminat verankerte Zellen gefüllt, um Nährstoff zu speichern.  Der benötigte Sauerstoff für die Atmung der Muskeln kann durch den Gasaustausch durch einfache Diffusion über die Haut stattfinden. Bei Fleisch fressenden Arten befindet sich die Mundöffnung vorne im Körper, bei Arten, die sich auf pflanzliche Kost spezialisiert haben, dagegen etwa hinter dem Vorderende der Bauchseite.

Die Bärtierchen leben in Teichen und Gewässern wie in unseren Badeseen und in den Wasserlandschaften zwischen Inn und Salzach, aber auch in den vorübergehenden Wasseransammlungen in Moospolstern und feuchten Auwaldböden. Die Bewohner dieser natürlichen Mikroaquarien können innerhalb kurzer Zeit ihren Körper zu einem „Tönnchen“, einem Dauerstadium, schrumpfen. Dabei geht der größte Teil ihres Wassergehaltes verloren und das zurückbleibende Wasser steht unter hohem Quelldruck, so dass es weder gefrieren noch verdunsten kann. Die Bärtierchen der Gattung Macrobiotus hufelandi, dessen Weibchen bis 1,2 mm Körperlänge erreichen können, können sich in einen todesähnlichen Zustand versetzen (Kryptobiose), in dem sie extreme Umweltbedingungen überdauern können. So konnten sie nach 20 Minuten Aufenthalt in flüssiger Luft bei -190 Grad bis -200 Grad Celsius ebenso wieder zu neuem Leben erweckt werden wie auch nach einstündigem Kochen. Die Widerstandskraft der Bärtierchen gegenüber unwirklichen Lebensbedingungen ist erstaunlich. Selbst ein Aufenthalt im All im absoluten Vakuum halten sie aus. Sie widerstehen hohem Druck, ätzenden Flüssigkeiten und einer sehr hohen Dosis radioaktiver Strahlung. Dies könnte daran liegen, dass Bärtierchen besonders viel fremdes Erbgut in sich tragen. Die Bärtierchen können nicht nur ihre eigene beschädigte DNA reparieren, sondern auch fremdes Erbgut einfügen. Diese Mischung des Erbgutes sorgt für Widerstandskraft, so dass sie im leblosen Zustand Jahrzehnte überdauern können. Die Bärtierchen sind austrocknungsresistent, sind aber zum aktiven Leben auf einen dünnen Wasserfilm angewiesen. Limnische Arten, die in Seen und Teichen leben, bilden einen Bestandteil der bodenlebenden Sandlückenfauna. Sie siedeln auch auf Algen, Wasserpflanzen und auf Seerosen. Die verwandtschaftliche Stellung dieser Tiergruppe ist noch nicht völlig geklärt. Sie ähneln noch am ehesten den Stummelfüßern, werden aber besser als eigener Stamm gewertet.

Bärtierchen ernähren sich, indem sie mit ihren Stiletten einzelne Pflanzenzellen, z.B. von Moosen oder Wasserpflanzen anstechen und aussaugen. Jedoch sind sie nicht nur auf pflanzliche Nahrung angewiesen, denn man hat auch einige Arten an toten Artgenossen, an Fadenwürmern und sogar beim Überwältigen lebender Rädertierchen beobachtet. Sie können sich sowohl vom Inhalt der Pflanzenzellen ernähren, aber auch räuberisch von kleinen Tieren.

Bärtierchen pflanzen sich meist geschlechtlich fort. Die Paarung kann mit einer gleichzeitigen Häutung der Weibchen erfolgen. Dabei werden die Eier im Häutungsmantel besamt. Im Hoden der Männchen werden begeiselte Spermien gebildet. Die Weibchen besitzen in ihrem Eierstock nur einen Eileiter, aber ein bis zwei Samenbläschen, die bei einer Kopulation die Spermien der Männchen aufnehmen und diese bis zur Eiablage speichern. Manche Arten vermehren sich aber parthenogenetisch, d.h. ohne Beteiligung der Männchen. In diesem Fall entwickeln sich die Eier der Weibchen ohne Befruchtung. Es gibt auch zwittrige Individuen, bei denen sowohl Spermien als auch Eizellen heranreifen können. Die geringe Größe der Eier und die „Tönnchen“- Form ermöglichen eine Verdriftung durch den Wind, Wasser oder auch durch Tiere. Sie können vom Sturm aufgewirbelt werden und lassen sich dann auch in Regentropfen nachweisen.

Günter Geiß