Arbeitskreis blühende Lebensräume
Erschreckende Nachrichten:
Mehrere Studien (siehe Literatur) zum Thema Insekten zeigen auf, dass sowohl die Masse der Insekten, deren Anzahl und auch die Anzahl der Arten in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen sind. Parallel dazu sind auch die Anzahl der Vögel und Vogelarten in vielen Bereichen zurückgegangen.
Wo liegen die Ursachen?
Viele Insekten sind für ihre Entwicklung auf ganz bestimmte Futterpflanzen angewiesen (z.B. sind die Raupen des Tagpfauenauges auf die große Brennnessel angewiesen oder die Engerlinge des Hirschkäfers auf abgestorbenes Eichenholz). Hinzu kommt, dass viele Insekten einen langen Entwicklungszyklus haben (z.B. der Maikäfer von vier Jahren, der Hirschkäfer von fünf bis sieben Jahren oder bodenbrütende Wildbienen von einem Jahr). In dieser Zeit darf der Lebensraum der Larven nicht geschädigt werden. Derartige ungestörte Lebensräume finden sich in unserer aufgeräumten Umwelt immer seltener. Ein Umackern im Herbst zerstört z.B. die Nester der bodenbrütenden Wildbienen.
Nach der Flurbereinigung sind viele Feldraine verschwunden. Wiesen werden nicht nur drei Mal im Jahr gemäht, sondern bis zu sieben Mal. Da kommen die Futterpflanzen für unsere Insekten gar nicht mehr zum Blühen. In unseren Gärten finden Brennnesseln oder wilde Möhren keinen Platz mehr.
Viele der Pflanzen, die seit alters her von unseren Insekten als Nahrungspflanzen genutzt wurden, (und viele Insekten nutzen nur einige, wenige Nahrungspflanzen) wachsen auf überdüngten Flächen nicht. In der Folge finden auch die spezialisierten Insekten keinen für sie geeigneten Lebensraum mehr.
Was können wir tun?
Es gibt viele Flächen, die extensiv oder gar nicht genutzt werden. Da sind zum Beispiel Bahndämme, Straßenränder oder die Dämme von Inn- und Alzkanal. Diese müssen gemäht werden. Sinnvoll ist es da, nicht vor Mitte September zu mähen, damit die Blühpflanzen auch aussamen können. Gleichzeitig sollte Mähgut abgefahren und nicht gemulcht werden, um „magere“ Standorte zu gewinnen.
In unseren Gärten sollten wir auf Kiesgärten oder Rasen mit Mähroboter verzichten. Diese sind kein Lebensraum für unsere Insekten und Vögel. Sicher möchte nicht jedermann irgendwo eine Ecke mit Brennnesseln anlegen, aber ein bisschen Unordnung darf sicher sein: Das Laub im Herbst nur unter die Sträucher gerecht oder ein Totholzhaufen in der Hecke. Da Insekten oft nur wenige Futterpflanzen nutzen ist es wichtig, ihnen diese anzubieten. Es sollten daher in Gärten und Hecken überwiegend einheimische Sträucher gepflanzt werden. Neophyten, also Pflanzen, die nach 1471 nach Europa kamen, sind für unsere Insekten weitgehend wertlos.
Reicht das?
Nein! Leider ist festzustellen, dass die geeigneten Lebensräume unserer Insekten immer kleiner und in vielen Fällen auch immer isolierter werden. In unserem Landkreis Altötting gibt es noch Eichenwäldchen. Aber es wurden seit Jahren keine Hirschkäfer mehr festgestellt. Sie sind dort ausgestorben. Warum? Wurde Totholz zu konsequent entfernt? Gibt es eine Möglichkeit, dass der Hirschkäfer wieder in unseren Landkreis kommt?
Erste Voraussetzung: Wir dürfen nicht aufräumen, müssen herumliegendes Totholz akzeptieren.
Zweite Voraussetzung: Der Hirschkäfer muss einwandern können. D.h. er muss es schaffen, von einem Lebensraum in einen anderen wandern zu können. Das ist unwahrscheinlich über die Entfernungen zum nächsten Hirschkäfervorkommen, wenn es nicht „Trittsteine“ gibt, die es dem Hirschkäfer ermöglichen, zu wandern. Dasselbe gilt natürlich für alle Insekten. Wir benötigen ein Netzwerk von Wanderwegen, damit Insekten ihre (alten) Lebensräume nach „Katastrophen“ wieder besiedeln können.
Helfen Blühflächen?
Nach den Volksbegehren „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern“ haben Landwirte versucht von der Bevölkerung „Patenschaften“ für Blühflächen auf wenig ertragreichen Flächen zu bekommen, die sie mit irgendwelchen Blühmischungen einsäen wollten. Sollte es sich dabei um landwirtschaftlich nutzbares Land handeln, so sind diese Flächen nach fünf Jahren wieder voll landwirtschaftlich zu nutzen, damit der Status "landwirschaftlich genutztes Ackerland" nicht verloren geht. Hinzu kommt, dass es sich nicht ohne weiteres nachprüfen lässt, ob autochtones Saatgut, also Saatgut aus der Region Verwendung findet. In vielen Fällen handelt es sich daher nicht um nachhaltige Projekte, da die Flächen in fünf Jahren wieder umgebrochen werden müssen. Hinzu kommt das Einbringen von Genmaterial, das nicht auf die hier herschenden Bedingungen angepasst ist. Für diese Flächen benötigt es mindestens einen auf zehn Jahre angelegten Managementplan um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen.
Was können wir tun?
Fangen wir im eignen Garten an:
Auf versiegelte Flächen weitgehend verzichten
Keine Kiesgärten anlegen
Möglichst einheimische Bäume, Sträucher und Stauden pflanzen
Ein bisschen „Unordnung“ im Garten akzeptieren
Laub über den Winter unter den Sträuchern belassen
Totholzhaufen anlegen
Einige Bereiche nicht düngen
Kein Einsatz von Herbiziden und Insektiziden.
Für Verantwortliche in Gemeinden und Firmen:
Flächen identifizieren, die für eine naturnahe Bewirtschaftung (spätes Mähen, Entfernen von Mähgut) geeignet sind.
Anlage von Flächen, die naturnah bewirtschaftet werden können (z.B. Zentren von Kreisverkehren, Verkehrsinseln).
Verwendung von autochthonem Saatgut (Saatgut aus der Region), wenn Flächen neu eingesät werden.
Naturnahe Flächen erst nach der Samenreife und der Selbstaussaat mähen.
In Verträgen mit Subunternehmern festschreiben, dass die naturnah bewirtschafteten Flächen erst nach der Samenreife und der Selbstaussaat gemäht werden.
Der Arbeitskreis „Blühende Lebensräume“
Der Arbeitskreis „Blühende Lebensräume” spricht immer wieder bei Entscheidungsträgern in den Gemeinden und im Landkreis sowie bei Firmen vor, auf ihren Flächen "Blühende Lebensräume" auszuweisen. Zudem sollen Ausgleichsflächen kartiert werden und daraufhin untersucht werden, ob sie ihren Zweck auch erfüllen (können).
Der Arbeitskreis trifft sich in unregelmäßigen Abständen. Die Termine finden Sie in unserem Veranstaltungskalender. Sie können sich auch an Hans Steck wenden.
Weitere Informationen zur Gründung des Arbeitskreises "Blühende Lebensräume" finden sie hier.
Literatur:
Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS ONE 12(10): e0185809. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809
Seibold, S., Gossner, M.M., Simons, N.K. et al. Arthropod decline in grasslands and forests is associated with landscape-level drivers. Nature 574, 671–674 (2019) doi:10.1038/s41586-019-1684-3
https://www.nature.com/articles/s41586-019-1684-3