Edelkrebse, ehemalige Bewohner des Wöhrsees
Der Edelkrebs, auch Flusskrebs genannt, ist auch in Meyers Lexikon von 1871 erwähnt: „Die Langschwänze sind charakterisiert durch den vollständig und mächtig entwickelten Hinterleib. Dazu gehört als bekannteste Art der gemeine Flusskrebs Cancer astacus L. Er geht des Nachts auf Beute aus, auch wohl an das Land. Man fängt ihn im flachen Netz in dessen Mitte man einen abgezogenen Frosch befestigt. In der Medizin bedient man sich der Krebssteine, weiße Kalkkonkremente, die sich im Magen der Krebse bilden. Ehedem waren sie gegen Steinbeschwerden, Kolik, Sodbrennen und Zahnpulvern häufig in Anwendung.“ Im Wöhrsee, so erzählt Gustl Geith in seinem Buch „Zwischen Wöhrsee und Zaglau“ gab es in seiner Jugend viele Edelkrebse. Als Buben fingen sie diese mit der Hand und hatten keine Angst vor den Scheren. Sie konnten, wie er behauptete, zwar in den Finger zwicken. Aber sie blieben nicht einmal daran hängen, da die Kraft nicht ausreichte. Da es im Wöhrsee früher Krebse gab, züchtete der Fischereiverein Burghausen in den 90er Jahren in der vereinseigenen Fischzucht in Haiming Edelkrebse heran, die dann in den St.Johannser Bach eingesetzt wurden.
Erwiesenermaßen vermehrten sich die Edelkrebse auch im Halsbach, der bei Burgkirchen in die Alz mündet. Im Türkenbach , der bei Haunreit in den Inn mündet, lebt eine größere Population an Scherenträgern, aber leider die nicht erwünschten Signalkrebse, die den Krebspesterreger in sich tragen können.
Eine weitere Flusskrebsart in Bayern ist der Steinkrebs, ein echter Bayer und stammesgeschichtlich eine sehr alte Krebsart. Als nichteinheimische Krebsart lebt in Bayern noch der Galizier Krebs, auch Sumpfkrebs genannt. Er kommt aus Vorderasien und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts bei uns eingeführt. Heute lebt er auch im Chiemsee. Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Deutschland der aus Nordamerika stammende Kamberkrebs eingeführt. Zu Beginn der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts kam von der pazifischen Küste Nordamerikas der Signalkrebs nach Europa. Die amerikanischen Arten sind Dauerüberträger der Krebspest. Auslöser ist der Schlauchpilz Aphanomyces astaci. Diese aus Amerika eingeführten Arten erkranken selbst nicht daran, da sie aufgrund ihrer gemeinsamen Evolution resistent dagegen sind. Mit der Einschleppung dieser Krankheit verfiel der vormals unerschöpfliche Reichtum an Edelkrebsen, zumindest dort, wo sie sich mit der Krebspest infizieren konnten.
Der Edelkrebs wird 15 bis 20 Jahre alt , erreicht von der Nasenspitze bis zum Schwanzende etwa 20 cm Länge und wiegt dann etwa 350 g. Er trägt am Kopf zwei Fühlerpaare , besitzt ein verschmolzenes Kopfbruststück und einen beweglichen Hinterleib, der mit einem Schwanzfächer endet. Der größte Teil des Panzers überdeckt Kopf und Rücken. Auf der Unterseite befinden sich 5 gepanzerte Beinpaare. Die Unterseiten der Scheren sind blutrot oder rostbraun gefärbt mit Ausnahme der seltenen blauen Exemplare. Die Scheren, die beim Männchen größer ausgebildet sind als beim Weibchen, dienen der Verteidigung und zum Festhalten der Beute. Sein Körper ist dunkelbraun bis rotbraun. Der Edelkrebs schreitet nach allen Seiten über den Gewässergrund und er katapultiert sich bei Gefahr durch mehrfaches kräftiges Einschlagen des Schwanzfächers nach rückwärts davon. Damit die Tiere wachsen können, wird die starre Körperhülle periodisch abgeworfen, wobei sie den alten Panzer zwischen Kopfbruststück und Hinterleib sprengen und diesen nach oben verlassen. Der weiche Butterkrebs, wie er in diesem Zustand genannt wird, ist leichte Beute für seine Fressfeinde. Um die neue Schale erhärten zu lassen, versteckt er sich deshalb in seiner Höhle. Magensteine, so genannte Gastrolithen, liefern den erforderlichen Kalk. Da sich das Männchen öfter häutet als das Weibchen wird es auch sehr viel größer.
Bei der Begattung im Herbst paaren sich die Flusskrebse, wobei die Männchen die Weibchen mit ihren Scheren festhalten und in Seitenlage oder auf den Rücken drehen. Mit ihren Befruchtungsbeinchen heften die Männchen etwa 1mm starke , kleine weiße, stäbchenförmige Samenpakete an das Weibchen bauchseitig zwischen die Schreitbeine an. Die Eiablage findet mehrere Wochen später statt, wobei das Weibchen den Hinterleib nach vorne schlägt. Mit einem schaumigen Schleim, der die Spermatophoren auflöst und die Samenzellen aktiviert, werden die Eier in diesem Brutraum ausgestoßen. Bis 300 Stück haften dann traubenförmig an den Schwimmfüßchen der Mutter. Die fast vollständig entwickelten Krebslarven schlüpfen zwischen Mai und Juni und klammern sich mit den Scheren an den Schwanzflossen der Mutter fest. Während der ersten Tage tragen sie einen Dottersack. Die Jungkrebse häuten sich mehrmals im Jahr. Die Weibchen sind nach 3 Jahren geschlechtsreif.
Der Edelkrebs, der in Bayern als gefährdet beurteilt wird, besiedelt die Gewässer der Kalkgebirge und auch die Weichwässer der Urgesteinsgebiete wie im bayerischen Wald. Es gibt zahlreiche Edelkrebsbestände in Baggerseen und Teichen und in mittleren und kleineren Bächen, die genug Sauerstoff enthalten. Er liebt nährstoffreiche, sommerwarme, fließende, aber auch stehende Gewässer der Niederau, ist aber auch in höheren Lagen der Fließgewässer zu finden. Damit sich die Geschlechtsteile entwickeln können, müssen die Sommertemperaturen des Gewässers 2 bis 3 Monate 16 Grad Celsius erreichen. Der Edelkrebs gräbt gerne Wohnhöhlen und meidet deshalb sehr schlammige Gewässer. Er lebt unter Steinen, in Uferböschungen und zwischen Treibholzanschwemmungen und Wurzelwerk, auch im moorigen Wasser mit strukturreichen Uferzonen. Er meidet starke Strömung und kalte Quellbäche, deren Temperaturen dauernd unter 12 Grad Celsius liegen. Heute findet man den Edelkrebs in manchen Wasserläufen, in denen er von der Krebspest nicht infiziert werden konnte.
Dieser Flusskrebs, der erdgeschichtlich dem sehr alten Stamm der Gliederfüßer zugeordnet wird, ist dämmerungs- und nachtaktiv. Nach Einbruch der Dunkelheit verlässt er seinen Schlupfwinkel. Bei der Nahrungsaufnahme ist er nicht wählerisch, nimmt alles, Weichtiere, Wasserinsekten, Fischlaich, frisches Aas, kleine Fische und Frösche. Auch frischgehäutete Artgenossen greift er an. Jüngere Krebse ernähren sich auch von pflanzlichem Plankton und weichen Makrophyten, die älteren nehmen auch härtere Pflanzen. Während der Wintermonate wird die Nahrungsaufnahme eingestellt und tiefe Uferhöhlen für die Ruhezeit aufgesucht.
Die heutige Gefährdung der Edelkrebse sind artfremde, aus Amerika eingeführte Verwandte , auch Fressfeinde wie Aale, Bisamratten und Enten, sowie Schadstoffbelastungen und naturferner Gewässerbau. Bleibt zu hoffen, dass sich in dem einen oder anderen sauberen Bach mit strukturreichen Uferzonen der heimische Edelkrebs wieder ansiedelt. Ein Beispiel dafür ist der Halsbach.
Günter Geiß