Die Bissgurren von Haunreit
(oder: Schlammpeitzger, die Bissgurren von Haunreit)
Der Schlammpeitzger, im Volksmund auch Bissgurre genannt, lebt im Schlamm der Haunreiter Lacke und erzeugt bei Berührung gurrende und quietschende Geräusche.
Misgurus fossilis, unter diesem lateinischen Namen ordnete Linne 1758 den Europäischen Schlammpeitzger in die wissenschaftliche Nomenklatur ein. Der Fisch ist in Mitteleuropa weit verbreitet und lebt vom Stromgebiet der Loire in Frankreich bis zum Stromgebiet der Wolga und Don.
Die Schlammpeitzger sind hochspezialisierte Fische und gehören zur Gattung der Schmerlen. Ihr walzenförmiger, aalartiger Körper ist vorne fast drehrund und hinten seitlich zusammengedrückt. Der Fisch, der im Durchschnitt 15 bis 25 cm Länge erreicht, selten bis 35 cm, hat eine schleimige Haut mit sehr kleinen Rundschuppen, einen kleinen Kopf mit enger unterständiger Mundspalte und röhrenförmig verlängerter Nasenöffnung. An seinem Maul befinden sich 10 dicke Barteln, 6 längere am Oberkiefer und 4 kürzere am Unterkiefer, die reich mit Sinnesorganen besetzt sind. Der langgestreckte Körper ist ebenso schlüpfrig und beweglich wie beim Aal, die Flossen sind im Verhältnis zu seinem Körper nur schwach entwickelt, die Rücken- und Bauchflossen abgerundet und nach hinten verlängert, wobei die Männchen zur Paarungszeit vergrößerte Brustflossen aufweisen. Die Seiten des Kopfes sowie des Körpers sind ledergelb und der Rücken ist mit dunklen Längsstreifen und Punkten verziert. An den Seiten des Kopfes beginnt hinter den Augen ein schwarzbrauner Streifen, der oben und unten von einem hellbraunen Band gesäumt ist und sich mittig bis zum Schwanzende zieht. Der helle orangegelb getönte Bauch ist durch ein weiteres schmales dunkelbraunes Band getrennt.
Der Schlammpeitzger ist ein zählebiger Bodenfisch und ein Atemkünstler unter den einheimischen Fischen. Er bewohnt flache, warme, stehende Gewässer wie Tümpel, Wassergräben und Altarme mit Schlammgrund und kommt auch in sauerstoffarmen und zeitweise sogar austrocknenden Gewässern vor. Er stößt bei Berührung Luft mit quietschenden und gurrenden Geräuschen aus und wird im Volksmund deshalb auch Bissgurre genannt. Der Fisch lebt tagsüber eingegraben im Schlamm und wird erst in der Dämmerung aktiv. Bei Trockenheit und strengem Frost wühlt er sich bis 30 cm, manchmal bis 70 cm tief in den Schlamm ein, so dass er auch ein Austrocknen des Gewässers schadlos übersteht. Auch längere Frostperioden können ihm nichts anhaben. Bei Gewitterneigung wird der Fisch auch am Tage unruhig und kommt 24 Stunden vor einem Gewitter an die Oberfläche und trübt das Wasser durch seine lebhaften Bewegungen, wobei er auch manchmal Geräusche von sich gibt. Er wird deshalb auch Wetterfisch genannt und von Liebhabern als Wetterprophet im Aquarium gehalten.
Neben der Kiemenatmung ist beim Schlammpeitzger auch die Fähigkeit zur Darmatmung besonders ausgeprägt. Bei Sauerstoffmangel steigt er regelmäßig an die Wasseroberfläche um Luft zu schlucken, die den Darmkanal passiert und durch die Afteröffnung wieder ausgeschieden wird. Im Mittel- und Enddarm befinden sich Abschnitte, deren Wand mit einem dichten Netz feinster Blutäderchen ausgekleidet ist. Hier findet in den feinen Blutgefäßverzweigungen der stark gefalteten, dicken Schleimhaut des Darms der Gasaustausch statt. Etwa die Hälfte des Sauerstoffgehalts wird aus der geschluckten Luft aufgenommen und Kohlendioxid abgegeben. Die Restluft wird als Bläschen durch den After abgestoßen. Damit atmende Abschnitte durch Nahrungsrückstände nicht verschmutzen, werden diese vorher mit einer dünnen Schleimhaut überdeckt. Auch können die Fische 70% ihres Sauerstoffbedarfes über die Haut aufnehmen. Der Schlammpeitzger übersteht dicke Faulschlammschichten und kann auch in feuchten Wiesen längere Zeit überleben.
Die Nahrung des Schlammpeitzgers besteht aus kleinen Schnecken und Muscheln, Zuckmückenlarven, Würmern, kleinen Krebsen, Insektenlarven und anderen wirbellosen Bodentieren. Bei der Nahrungssuche schwimmt der Fisch langsam über dem Boden, lokalisiert seine Beute durch den Geruch und gräbt die wirbellosen Tiere aus.
Im Frühling, meist April bis Juni verlassen die Tiere ihr Versteck um zu laichen. Ihre Laichgründe befinden sich in dichter Vegetation, oft auch in überfluteten Wiesen. Die Männchen folgen den Weibchen ins dichte Kraut und bilden einen geschlossenen Ring um den Körper des Weibchens oder die beiden umschlingen sich einander beim Laichakt. Das Weibchen setzt portionsweise etwa 70 000 bis 150 000 klebrige, etwa 1,5 mm große braun gefärbte Eier an Wasserpflanzen und Wurzeln ab, wobei der Laichvorgang sich über mehrere Wochen hinziehen kann. Nach dem Schlupf schwimmen die Larven sofort nach unten und verstecken sich im Schlamm. Die Larven besitzen vorübergehend zusätzlich äußere Kiemenfäden und können so den geringen Sauerstoffgehalt besser nutzen. Die Jungfische sind mit einem abwechslungsreichen Muster aus hellen Flecken und Ringen gezeichnet. Die Geschlechtsreife der Schlammpeitzger tritt nach 2 bis 3 Jahren bei einer Körperlänge von ca. 11 cm ein. Die Fische können ein Alter bis zu 21 Jahren erreichen.
Vor einigen Jahren als in der Haunreiter Lacke durch bakterielle Zersetzung der dicken Faulschlammschicht im unteren und mittleren Wasserbereich kein Sauerstoff mehr nachzuweisen war, mussten die an der Wasseroberfläche notatmenden und nach Luft schnappenden übrigen Fische mit dem Elektro-Gerät abgefischt und in das Wasser des nebenan fließenden Türkenbachs umgesetzt werden. Bei dieser Aktion kamen auch etliche Schlammpeitzger zum Vorschein, die dank ihrer Darmatmung im schlammigen Boden leben konnten. In dieser Lacke ist ein größerer Bestand dieser Bissgurren vorhanden. Da Wasservögel die klebrigen Eier mit ihrem Gefieder auch in andere Gewässer übertragen, ist anzunehmen, dass in allen unseren stark verschlammten Altwässern und Tümpeln die Schlammpeitzger leben, auch wenn man sie durch ihr Schattendasein im Schlamm nicht zu Gesicht bekommt.
In der Roten Liste der Bundesrepublik Deutschland ist der Schlammpeitzger als stark gefährdet aufgeführt.
Günter Geiß