Kreuzottern im Ibmer Moor
Die Kreuzotter ist die einzige Giftschlange Deutschlands und Österreichs und eine leidenschaftliche Sonnenanbeterin.
Linne ordnete die Kreuzotter 1758 mit dem lateinischen Namen Vipera berus in die Wissenschaftliche Nomenklatur ein. „Die Kreuzotter ist eine Schlangenart aus der Familie der Großmäuler und zwar der giftigen. Gereizt bläht sie sich auf und zischt laut. Sie beißt nur gereizt, und ihr Biss, der allerdings gefährlich ist, indem er, namentlich bei großer Wärme, einen Menschen innerhalb einer Stunde tödten kann.“ So nachzulesen in Meyer,s Konversationslexikon von 1871.
Die Kreuzotter kommt im nördlichen und mittleren Europa bis Asien in drei Unterarten vor. Die Eurasische Kreuzotter in unserer Region besitzt von allen Vipern das größte und zugleich nördlichste Verbreitungsgebiet. Der im Umriss dreieckige Kopf hebt sich deutlich vom Vorderteil des Rumpfes ab und ist mit kleinen Schildern bedeckt. Das Stirn- und Scheitelschild ist nicht unterteilt. Der Kopf ist hinten wenig verbreitert und mit ziemlich großen Schuppen bedeckt. Die schlitzförmige Pupille und die vorgewölbten Schilder über den Augen verleihen der Kreuzotter ein grimmiges Aussehen. Ihre Schnauzenspitze ist gleichmäßig abgerundet und der Rumpf erscheint gedrungen, der Schwanz kurz und endet in einem Dorn. Um die Rumpfmitte befinden sich gekielte Rückenschuppen. Die Iris ist lebhaft rotbraun gefärbt und im Auge steht die Pupille senkrecht. Je nach Geschlecht und geografischer Herkunft unterscheidet sich die Färbung. Sie variiert von bläulich grau, grüngrau, aschgrau oder bräunlich grau. Auch gelbe und beige Farbtöne, rötliche, dunkelbraune oder ganz schwarze Exemplare sind nicht selten. Beiderseits des Kopfes verläuft ein dunkles Band und auf dem Nacken kann man eine X- oder V-förmige Zeichnung erkennen. Über den Rücken erstreckt sich ein dunkles wellen- oder Zick-Zack-förmiges Längsband, das bei den Männchen schwarz und bei den Weibchen dunkelbraun gefärbt ist. An den Seiten befinden sich rundlich dunkle Flecken und die Schwanzspitze weist eine zitronengelbe oder ziegelrote Färbung auf. Die Unterseite ist grau bis beige und mit dunklen Flecken. Die Grundfärbung der Männchen ist braun, der Weibchen grau. Es gibt auch rotbraune Tiere, die so genannten Kupferottern. Die ganz schwarzen werden Höllenottern genannt.
Die Männchen erreichen etwa 60 cm Körperlänge, die Weibchen sind deutlich länger. Kreuzottern sind durchschnittlich 100 bis 200 g schwer. Tragende Weibchen können ein Maximalgewicht von 300 g erreichen. Sie zählen zu den Giftschlangen. Beim Biss richten sie ihre Giftzähne auf und setzen sie wie Injektionsnadeln ein. In Ruhe sind sie nach hinten geklappt und in einer Schleimfalte versenkt. Das Gift dient zum Töten der Beutetiere, wird aber bei Gefahr zur Verteidigung eingesetzt. Wegen des geringen Giftvorrats ist der Biss der Kreuzotter aber nur für kleine Kinder und für alte und kranke Menschen lebensgefährlich. Der Biss fühlt sich in etwa wie der Stich einer Wespe an. Anschließend tritt rund um die Wunde eine schmerzhafte Schwellung mit blauroter Verfärbung auf. Dabei kann es zu Erbrechen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schweißausbrüchen und Blutdruckabfall bis hin zum Kollaps kommen. Aufgrund der geringen Giftmenge sind aber lebensbedrohliche Vergiftungen äußerst selten. Zunächst warnt die in die Enge getriebene Schlange durch deutliches Zischen und beißt schließlich zu. In diesem Fall ist der betroffene Körperteil ruhig zu stellen und ein Arzt zu verständigen.
Die Kreuzottern besiedeln relativ kühle und feuchte Lebensräume wie Heide, Torfmoore und unbebautes Grasland bis in 3000 m Höhe. Als Unterschlupf dienen Wurzelwerk, Gebüsch, Steine und Erdgänge von Kleinnagern. Sie erwachen sehr früh im Jahr aus dem Winterschlaf und bevorzugen im Frühjahr Lichtungen und Waldränder, manchmal bereits Mitte Februar, um am frühen Morgen und in den letzten Nachmittagsstunden Sonnenbäder zu nehmen. Die Kreuzotter verträgt am meisten von allen Schlangen das Leben in kalten Zonen. Bei Temperaturen um plus 3 Grad kann sie sich noch fortbewegen. Im Sommer fühlt sie sich bis 34 Grad noch wohl. Die Winterstarre verbringen die Schlangen in 20 bis 50 cm Tiefe an einem feuchten Ort in Felsspalten, hohlen Baumwurzeln oder Erdgängen, oft mit anderen Kreuzottern zusammen. Kreuzottern bewohnen alle Lebensräume, die geeignete Plätze zum Sonnen aufweisen und auch Deckung geben. Um die größtmögliche Oberfläche ihres Körpers der Sonnenstrahlung aussetzen zu können, sind sie fähig, ihren Körper abzuplatten. Die Schlangen lieben Heidemoore mit viel Gestrüpp und sind am Tag und in warmen Nächten aktiv. Kreuzottern sind sesshaft und man findet sie oft jahrelang am selben Ort. Sie unternehmen allerdings kurze Streifzüge, z.B. wenn zur Paarungszeit die Männchen die Weibchen suchen. Gut erwärmbarer Untergrund wie Torf und Totholz sind ideale Lebensräume. Auch Baumstümpfe dienen als Sonnenplatz. Die Kreuzottern können gut kriechen und sind hervorragende Schwimmer. Sie können nur schlecht sehen, nehmen aber dafür die leisesten Erschütterungen des Bodens wahr. Auch kann man öfters ein Züngeln der Tiere beobachten, da auf ihrer Zunge Zellen sitzen, mit denen sie hervorragend riechen können. Sie häuten sich regelmäßig, oft 5mal im Jahr, wenn sie für ihre alte Haut zu groß geworden sind.
Bei einer Moorwanderung über die Bretterbohlen im Ibmer Moos zeigte mir meine Frau die Stelle, an der sie bei einem unserer letzten Ausflüge eine große braune Schlange mit schwarzem Zick-Zack-Muster auf dem Rücken beobachtete, wie diese sich unter den Brettern heraus ins anliegende Gestrüpp schlängelte. Ich selbst hab sie nicht gesehen und dachte damals an eine mögliche Verwechslung mit einer Schlingnatter. Ein ortskundigen Führer erklärte uns, dass es im Ibmer Moor wirklich Kreuzottern gibt.
Die Kreuzottern begeben sich meist in der Dämmerung auf Nahrungssuche, um neugeborene Nagetiere und Kleinsäuger wie Feldmäuse zu jagen. Auch Echsen, Frösche und Vögel gehören zu ihrem Speiseplan. Nach dem Aufspüren der Beute beißt sie mit ihren Giftzähnen zu und betäubt oder tötet sie. Anschließend hakt sie ihren Unterkiefer aus und verschlingt die Beute im Ganzen. Je nach Größe der Mahlzeit kann sie lange ohne Nahrung auskommen.
Nach der Winterstarre erscheinen im Frühjahr die Männchen als erste und verbringen ein oder zwei Wochen damit, sich in der Sonne zu erwärmen. Etwas später finden sich die Weibchen ein und wahrscheinlich finden sich die Geschlechter durch die Spur, die das Weibchen am Boden hinterlässt. Trifft ein Männchen auf ein unbewegt daliegendes Weibchen, gerät sein Körper in zuckende Bewegungen, wobei es stoßweise zischt und sich bemüht, sein Kinn auf den Rücken der Partnerin zu legen. Die passt sich den Windungen des Männchens an, das versucht, auf ihrem Körper voran zu gleiten. Dabei betrillert seine Zunge den Rücken der Partnerin, um festzustellen ob sie paarungsbereit ist. Wenn die Körper der beiden genau übereinanderliegen, versucht das Männchen mit seinem Schwanz die hintere Körperpartie des Weibchens zu umschlingen und die so gebildete Schlinge so zu verschieben, dass die Kloaken zusammentreffen. Daraufhin schnellt das Weibchen nach vorn, reißt sich vom Männchen los und wartet, bis dieses seine Annäherung von Neuem zu beginnt. Die eigentliche Begattung findet nach langen Vorspielen statt und dauert ein bis zwei Stunden. Dies wiederholt sich während der Fortpflanzungsperiode 5 bis 6 Mal. Kommt ein weiteres Männchen ins Spiel, werden unblutige Ritualkämpfe ausgefochten. Bei diesem Kräftemessen umschlingen sich die Gegner mit ihren aufgerichteten Oberkörpern und versuchen, sich gegenseitig wegzurempeln. Das schwächere Tier verlässt zunächst den Platz. Nach kurzer Zeit kehrt es aber zurück und verpaart sich ebenfalls mit dem umkämpften Weibchen.
Um die Embrionalentwicklung zu fördern, sonnen sich trächtige Weibchen den Sommer über sehr intensiv. Die Eier der Kreuzotterweibchen haben nur eine dünne Eihaut, und reifen im Körper des Muttertieres heran. Ende August, Anfang Oktober reißt die dünne Eihaut auf und es werden 5 bis 20, etwa 15 cm lange voll entwickelte Jungtiere geboren.
Der Umstand, dass die Kreuzotter lebende Junge zur Welt bringt, gestattet es ihr in Gegenden mit kurzer Sommerzeit und geringen Durchschnittstemperaturen zu leben. Werden die Jungen nicht mehr im Spätsommer nach der Paarung geboren, überwintern die Weibchen mit den Keimlingen, die dann im darauffolgenden Sommer zur Reife kommen.
Kreuzottern werden 8 bis 15 Jahre alt und werden auf der Liste der gefährdeten Arten geführt.
Günter Geiß