Graugans
Graugänse, wilde Vorfahren der domestizierten Hausgänse
Nach erfolgreicher Partnersuche stoßen beide im Chor ein Triumphgeschrei aus und die Ehe ist geschlossen.
Linne beschrieb 1758 die Graugans in seinem Werk Systema naturae unter dem lateinischen Namen Anser anser. Die Graugänse brüten in verschiedenen Arten in Nord- und Osteuropa bis Asien, von Island bis Westsibierien. In unserer Region lebt die westliche Rasse Anser anser anser an ruhigen Seen mit breitem Schilfgürtel und angrenzenden Wiesen und Äckern.
Die silbergraue Gans hat eine Länge von etwa 76 bis 90 cm und eine Flügelspannweite von 147 bis 180 cm. Sie wird etwa 15 bis 20 Jahre alt und erreicht ein Gewicht von 2300 bis 3500 g, wobei die Ganter schwerer werden als die Weibchen. Die Unterseite der Graugans erscheint ungebändert, allerdings mit schwarzen Flecken an Hinterbrust und Bauch. Auf dem Gefieder überwiegt das Aschgrau. Die Schwanzdecke ist weiß, die Oberseite weiß-quer-gebändert. Sie hat einen kräftigen Körper mit verhältnismäßig langen Beinen, die bis zur Ferse gefiedert sind. Ihre Füße sind rötlich-fleischfarben, bei Jungvögeln grau. Die drei langen Vorderzehen sind bis zur Spitze mit einer Schwimmhaut versehen. Ihr orangefarbener Schnabel ist mit einer weichen rötlichen Haut überzogen und an der Basis hoch, im Allgemeinen kürzer als der Kopf und zur Spitze hin seitlich zusammengedrückt. Die Schnabelspitze ist mit einem breitgewölbten weißen Nagel versehen. Ihren langen Hals halten sie immer steil aufwärts und gestreckt. Ihr Kopf ist verhältnismäßig klein, die Flügel sind lang, breitflächig und spitz zulaufend. Im Flug wirken die Vorderflügel hell.
Hat das Männchen einen Rivalen oder sonstigen Eindringling vertrieben, stößt es trompetende Triumphrufe aus, die vom Weibchen und auch von den Jungvögeln wiederholt werden. Außerhalb der Brutzeit fliegen die Graugänse in Keilform oder in schräger Linie angeordnet in lockeren Scharen am Himmel dahin. Da der an der Spitze fliegende Vogel den größten Kraftaufwand zur Überwindung des Luftwiderstandes aufbringen muss, übernimmt in bestimmten Zeitabständen immer wieder ein anderer Vogel aus der Grupp die Führung.
Graugänse leben in weiten Flachmoorlandschaften und an schilfbestandenen Seen und an Gewässern mit unmittelbar angrenzenden Wiesen und Feldern. Den Großteil des Tages verbringen die Gänse auf Wiesen und Feldern, wo sie ihre Nahrung finden. Sie weiden mithilfe ihres harten, scharf schneidenden Schnabels. Sie sind tag- und nachtaktiv. Werden sie tagsüber gestört, fressen sie nachts. Die Graugänse leben rein vegetarisch aber sehr abwechslungsreich. Abgeweidet werden Kräuter, Blätter und Triebe von Stauden. Zum weiteren Nahrungsspektrum zählen Sämereien, Beeren, Getreide, verschiedene Futterpflanzen und auch Wasserpflanzen. Sie sind in der Lage, mit ihrem Schnabel unterirdische Pflanzenteile auszugraben. Im Herbst suchen sie sich ihre Nahrung auf Maisstoppelfeldern und auch auf Feldern mit Raps und Wintergetreide. Zur Nahrungsaufnahme bevorzugen sie aus Sicherheitsgründen niedrig bewachsene Gebiete. Die Graugänse sind Zugvögel und überwintern in kalten Wintern in Südfrankreich und Spanien. Neben dem Zug in die Winterquartiere gibt es auch noch den Mauserzug der nicht-brütenden Tiere zu bestimmten Mauserplätzen. Durch geringen Jagddruck und schneefreie Felder mit Wintergetreide werden sie in unserer Region immer mehr zu Standvögeln, halten sich aber in Gewässernähe auf, da sie dieses zum Baden brauchen. Abgesehen zur Paarungs- und Brutzeit leben die Gänse in großen Schwärmen und verpaaren sich im Herbst des zweiten Jahres, brüten aber selten vor dem vierten Jahr. Es kann auch zu homosexuellen Beziehungen zwischen zwei Männchen kommen, wobei manchmal auch ein Weibchen miteinbezogen wird. Während der Aufzucht der Jungen bleibt das Trio zusammen. Anschließend trennt sich das Weibchen von der Gruppe. Die Männchen bleiben weiterhin zusammen. Bei der Partnersuche nähern sich die Vögel vorsichtig aber beharrlich mit viel gemeinsamem Geschnatter. Die Ehe ist geschlossen, wenn beide Partner ihr Triumphgeschrei im Chor ertönen lassen. Das einmal gebundene Paar bleibt zeitlebens zusammen. Die jungen Paare finden sich im ersten Winter, leben aber dann noch ein oder zwei Sommer als Verlobte zusammen ehe sie brüten.
Mit Frühjahrsbeginn kehren die Graugänse, die nicht als Standvögel hier geblieben sind, aus ihren Winterquartieren zurück. Nach ihrer Ankunft lösen sich die Flüge bald auf und die einzelnen Paare sondern sich ab und suchen einen geeigneten Nistplatz. Sie brüten in lockeren Verbänden und die Nester sind meist nicht weit voneinander entfernt. Jedes Paar grenzt ihr eigenes Revier ab und vertreibt jeden Eindringling. Die Brutzeit fällt in die Monate April bis Juni. Das Weibchen sucht den Nistplatz an einer unzugänglichen und erhöhten Stelle im Schilf aus und bricht das Schilf der Umgebung nieder, wobei es ständig vom Männchen begleitet wird. Das kunstlose Nest wird mit pflanzlichen Stoffen verschiedener Art, mit Zweigen, Schilfhalmen, Wasserpflanzen und Blättern locker zusammen gefügt und die Mulde mit kleinen Halmen und wenig Dunen ausgekleidet. Das Weibchen legt 5 bis 13 einfarbig grünliche bis schmutzig-weiße Eier, die allein vom Weibchen bebrütet werden. Die Bebrütung beginnt mit Ablage des letzten Eies. Das Männchen hält in Nestnähe Wache. Nach einer Brutzeit von etwa 28 Tagen schlüpfen die Jungen, die auf der Oberseite gelblich-olivgrün getönt sind und später einen graubraunen Farbton annehmen. Die Küken, auch Gössel genannt, zählen zu den Nestflüchtern. Wenn das letzte Junge geschlüpft ist, bleiben sie noch 24 Stunden im Nest und prägen sich das Bild der Eltern ein und folgen von dann an nur ihnen.
Sie werden von ihrer Mutter ins Wasser geführt und unternehmen gemeinsam mit ihren Eltern einen ersten Ausflug in die nähere Umgebung. Beide Eltern beteiligen sich an der Führung und der Verteidigung der Jungvögel. Wenn sie an Land gehen, suchen die Jungen hin und wieder Schutz und Wärme unter dem Gefieder der Mutter. Der Familienverband hält bis zur nächsten Brutperiode. Mit zunehmendem Alter entfernen sie sich von ihrem Brutplatz ins offene Gelände, wo sie frisches Grün finden.
Die Jungvögel werden mit etwa acht Wochen flugfähig. Die Altvögel beginnen im Juli mit der Schwingenmauser. Die rufaktiven Graugänse kennen mehr als ein Dutzend verschiedener Lautäußerungen, wobei manche mit einer hohen Kopfstimme und wieder andere eher knarrende Laute von sich geben. Der Ruf der Graugänse ist im Allgemeinen identisch mit der Stimme der Hausgans, die etwa wie „ga-ga-ga, gaaa- ga-gaga“ klingt. Gelegentlich kommt es zu einem duettartigen Rufen, wobei die Gänse abwechselnd rufen. Sie erkennen einander an ihren Rufen.
In unserer Region sind die Graugänse längst heimisch geworden und bleiben in milden Wintern als Standvögel. In den Wasserlandschaften zwischen Inn und Salzach kann man immer wieder einzelne Trupps an Stillgewässern und auch am Inn bei Marktl beobachten. Am Peracher Badesee sind sie zur Gänseplage geworden. Etwa 40 bis 50 Graugänse teilen sich im Frühjahr und Sommer das Naherholungsgebiet in der freien Natur mit den Badegästen, was zu erheblicher Problematik am Badegewässer führt. Die Gänse breiten sich auf Liegeflächen und auf Stegen aus und verunreinigen diese mit ihren Ausscheidungen aufs Gröbste. Während des Badebetriebs ziehen sich die Gänse in das angrenzende Naturschutzgebiet zurück, wo sie auch brüten.
Die Graugans unterliegt dem allgemeinen Schutz der EU-Vogelschutzrichtlinie, darf aber in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gejagt werden.
Günter Geiß