Kormoran
Kormoranausbreitung und Fischbestand
Eine einst geschützte Vogelart entdeckte in den achtziger-Jahren die Wasserlandschaften zwischen Inn und Salzach
Phalacrocorax carbo, so der wissenschaftliche Name, den Linne 1758 dem Kormoran gab. Heute werden sechs Arten anerkannt. Das Verbreitungsgebiet der westlichen Kontinental-Rasse P.c. sinensis, die auch unsere Gewässer bevölkert, umfasst große Teile Europas. Sinensis ist fast gänsegroß und hat eine Körperlänge bis 95 cm und die etwas größeren Männchen haben eine Flügelspannweite bis 150 cm. Je nach Geschlecht schwankt das Gewicht der Vögel zwischen 1700 g und 3100 g. Der relativ große, gelbe Schnabel ist am Ende hakenförmig und das prächtige Gefieder überwiegend schwarz, wobei im Sonnenschein ein metallisch grünlich-blauer Effekt entsteht. Während die Oberfläche ein geschupptes Aussehen zeigt, ist der Nacken mit weißen Federn durchsetzt. Etwa 4 cm lange abstehende Federn bilden einen angedeuteten Schopf am Hinterkopf. Der häutige, gelbe Schnabelansatz ist weiß gerandet, seine Füße sind schwarz und bei erwachsenen Vögeln zeigt die Iris eine smaragdgrüne Färbung. Die Vögel können ein Alter von über 20 Jahren erreichen.
Kormorane brüten im Alter von 3 bis 4 Jahren in Kolonien, im Binnenland überwiegend auf hohen Bäumen an Gewässern, wobei sie meist für die jeweilige Saison eine monogame Ehe eingehen. Das Nest besteht aus abgebrochenen Ästen und wird mit feinerem Material ausgepolstert. Die hellblauen, 3 bis 4 cm länglich-ovalen Eier werden in unserer Region Ende April bis Juni gelegt. Die Jungvögel werden mit hochgewürgten Fischen gefüttert. Die Nahrung besteht fast ausschließlich aus kleinen bis mittelgroßen Fischen, die sie überwiegend in 1 bis 3 m Tiefe, aber auch in Seen bis in 20 m Tiefe auf ihren Tauchgängen erbeuten. Untersuchungen ergaben, der überwiegende Teil der erbeuteten Fische in Alz, Salzach und Inn waren 9 bis 28 cm lang. Ich selbst habe jedoch in der Peracher Lacke einen Kormoran starten sehen, dem der Schwanz einer zu großen Schleie noch aus dem Schnabel hing und er aufgrund ihrer Größe nicht schlucken konnte. Um die Schilfwand am Ufer überwinden zu können, musste der kopflastige Vogel diesen schweren Ballast wieder ausspucken. Sicher ein Ausnahmefall, denn die meisten Beutefische sind kleiner. Man kann sich gut vorstellen, welche Mengen an Fische ein einziger Vogel im Lauf eines Jahres vertilgt, wenn er täglich und das ist erwiesen und auch von Vogelschützern und Fischern anerkannt, ca. 500 g Fische fressen muss. Während der Jagd reißen sich etliche gehakte Fische los und verenden an ihren schweren Hieb- und Stichverletzungen. In Deutschland und Österreich war der Kormoran von den Naturschutzverbänden 2010 zum Vogel des Jahres gewählt worden.
Im „Vogelbuch“von 1557 des schweizer Naturforschers Konrad Gessner heißt es: „In unseren Landen ist ein schwarzer Wasservogel welcher die Fisch in den Wassern und Seehen jagt und ihnen viel Schaden thut.“ In Europa war der Kormoran in alter Zeit sicher sehr verbreitet. Einmal durch Vögel, die in die Wintergebiete am Mittelmeer zogen und auch von jenen, die von Brutkolonien an den fischreichsten europäischen Binnengewässern stammten. In Deutschland war der Kormoran um 1900 aber als Brutvogel ausgestorben. Die nichtbrütende Population sank durch Nachstellung besonders an den Schlafbäumen, durch Verbauung der großen Flüsse und Gewässerbelastung durch Pestizide und andere Umweltgifte bis zu seinem Tiefstand in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, so dass es in Europa weniger als 5000 Brutpaare der westlichen Sinensis-Rasse gab. Die Schutzbestimmungen in einigen Ländern zeigten Wirkung und der Bestand erholte sich langsam. Als Zug- oder Strichvogel besuchten Kormorane auch bayerische Gewässer ohne hier zu brüten. In den 70er Jahren kamen immer häufiger kleine Trupps an bayerische Gewässer, wo sie besonders an fischreichen künstlichen Gewässern in Schutzgebieten brüteten. Ab 1980 beginnt der Bestand exponentiell zu wachsen. Die EU-Vogelschutzrichtlinie verbesserte den Schutz und durch den Rückgang der Pestizid-Belastung in den Gewässern und durch gut mit Fischen bestückte Teichwirtschaften und Stauseen im Binnenland erhöhte sich die Kormoranpopulation.
So gab es in Europa im Jahr 2006 über 1 100 000 Vögel und viele neue Brutgebiete. Die Population ist am Steigen und die Konflikte mit der Fischerei in Bayern sind weitgehend ungelöst. Der synchrone Rückgang der Leitfischart Äsche in den südbayerischen sommerkalten Gewässern seit Mitte der 80er Jahre ist in einer breit angelegten Ursachenforschung weitgehend dem Kormoran zugeordnet worden. Meist führt ein massiver Einfall von Kormoranen in ergiebige Gewässerabschnitte rasch zur Reduktion des Fischbestandes. Die Vögel wenden sich danach den nächstbesten Fischgründen zu. Betroffen sind vor allem Salmonidenregionen, besonders wenn Stillgewässer zufrieren und die Kormorane sich an offenen Fließgewässern konzentrieren. Allerding muss auch erwähnt werden, dass in den großen Voralpenseen die Fischerträge durch die Verbesserung der Wasserqualitäten sinken. Heute mindert zusätzlich der Kormoran die Erträge. Längst gilt er nicht mehr als gefährdeter Vogel. Bei der so genannten Kontinental-Rasse oder Binnen-Rasse P.c. sinensis, die an bayerischen Gewässern dominiert, ist die rasante Zunahme auch für Fachleute ein Rätsel. Seine enorme Anpassungsfähigkeit weist ihn als Erfolgsmodell aus.
Im Winterhalbjahr kann man in Bayern mehr Kormorane zählen als im Sommer, da viele Wintergäste aus dem Norden hinzukommen, andere fliegen nach einer kurzen Rast über Bayern hinweg, wenn der Winter zu streng wird und viele Gewässer zufrieren. Der Streit um den Kormoran führte in Bayern zu einer jährlichen Zählung der Vögel. Sie werden auf ihren Schlafbäumen an 8 Terminen zwischen September und April vom Landesbund für Vogelschutz mit ehrenamtlichen Helfern, Vogelinteressierten und Fischern gezählt. So wurden an den einzelnen Zählterminen jeweils mehr als 4000 Kormorane zwischen Oktober und März gezählt, in den Kernmonaten des Winters von November bis Februar mehr als 9000 Vögel. In Bayern finden sich an fast allen größeren Fließgewässern, auch in den Wasserlandschaften zwischen Inn und Salzach, weit verteilt ihre Schlafplätze, um in einem weiträumigen Gewässersystem den Fischbestand optimal nutzen zu können.
Wir wissen, dass es in der Natur nicht immer ein Gleichgewicht gibt. Es ist vielmehr ein ständiges Auf und Ab, ein ständiger Wechsel von Ungleichgewichten. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Population dieser Fische fressenden Großvögel in naher Zukunft von allein nach unten reguliert.
Günter Geiß