Seidenreiher
Der Seidenreiher, ein Prachtvogel mit blendend weißem Federkleid
Vor gut 100 Jahren waren Seidenreiher in Europa so gut wie ausgerottet.
Im Konversationslexikon von Herman Mayer, Ausgabe 1867, ist über den Reiher zu lesen: „Sie fliegen schön und leicht, mit zurückgelegtem Halse und hinterwärts gestreckten Beinen, wandern oder streifen und setzen sich auf Bäume, auf welchen sie sowie im Schilfe nisten. Ihre langen vom Halse und Rücken herabhängenden Federn geben die so genannten Reiherbüsche oder Reiherstutzen welche als beliebter Schmuck auf Helmen und Mützen theuer bezahlt wurden.“
Linne ordnete 1766 den Seidenreiher unter dem lateinischen Namen Egretta garzetto in die wissenschaftliche Nomenklatur ein. Sein Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Amerika über Europa, südliches Asien, Afrika und Australien. Er bevölkert die Kontinente mit verschiedenen Arten, die sich aber nicht sehr voneinander unterscheiden. In Mitteleuropa übersommert die Art Egretta garzetto regelmäßig am Neusiedler See, in Ungarn, in der Algarve und in Südfrankreich in der Carmargue. In Deutschland sind die Seidenreiher regelmäßig aber in geringer Zahl anzutreffen. Im 19. Jahrhundert wurden sie wegen ihrer prachtvollen Schmuckfedern stark bejagt und fast ausgerottet. Nach Unterschutzstellung erholte sich der Bestand ab 1910, so dass man sie heute auch in Bayern an verschiedenen Seen und sumpfigen Altwässern regelmäßig beobachten kann.
Den blendend weißen Reiher ziert zur Brutzeit ein langer Federschmuck am Hinterkopf, an Brust und Rücken und im Sommer tragen die Altvögel eine lange herabhängende Haube auf dem Kopf. Die etwa 55 bis 65 cm großen Reiher haben einen langen dolchartigen, schwarzen Schnabel, schwarze Beine und auffallend gelbe Füße mit dunklen Krallen. Bei einer Flügelspannweite von 100 bis 110 cm wiegt der Schreitvogel etwa 280 bis 710 g. Er wird bis 22 Jahre alt, was bei einem beringten Vogel festgestellt werden konnte. Im Flug hält der Seidenreiher die Flügel immer leicht gebogen nach vorne, wobei sein Hals S-förmig gebogen ist. Die Nackte Haut des „Zügels“ erscheint graugrün und in der Hochbalz erscheint sein Federkleid manchmal für kurze Zeit in leuchtendem Purpurrot.
Die Brutzeit fällt in die Monate April bis Juni, wobei die Seidenreiher mit anderen Reiherarten nisten. Nachdem das Weibchen den Nestplatz ausgesucht hat, bauen beide Eltern das lockere und oft durchsichtige Nest aus Zweigen und dünnen Ästen mit ungewöhnlich tiefer Nestmulde auf hohen Bäumen oder auf niederen Büschen im sumpfigen Gelände. Das Männchen besorgt das Nestmaterial, das dann vom Weibchen verbaut wird. Die Nestabstände betragen oft weniger als zwei Meter, wobei das kleine Territorium vom Männchen verteidigt wird. Der Seidenreiher verbringt viel Zeit mit der Gefiederpflege und kurz vor Sonnenuntergang sucht er seinen Schlafplatz auf, den er auch mit anderen Reiherarten teilt.
Etwa Mitte April legt das Weibchen im Abstand von 1 bis 2 Tagen 3 bis 5 langovale, grünlichblaue Eier, die schon nach der Ablage des 1. Eies bebrütet werden. Nach einer Brutdauer von 21 bis 22 Tagen schlüpfen die Jungen, die von beiden Eltern gefüttert werden. Die Jungvögel sind Nesthocker und verlassen etwa nach 30 bis 35 Tagen das Nest, wobei sie auf umliegende Äste übersiedeln. Nach etwa 40 bis 45 Lebenstagen werden die Nestlinge flügge. Die Seidenreiher werden im 1. Jahr geschlechtsreif und balzen schon im Winter in Afrika und setzen, wenn sie im März aus ihrem Winterquartier zurück sind, ihre Balz am Brutplatz fort. Dabei werben die Männchen mit einem leisen Krächzen oder Schnarren um die Gunst der Weibchen.
Seit einigen Jahren kommt es auch in Bayern vermehrt an der Donau in der Nähe von Straubing zu Bruten und im Frühsommer kann man die eleganten Schreitvögel auch in unserer Region in sumpfigen Flachwasserbereichen am Südufer an der Seibersdorfer Lacke gegenüber dem Hochwasserdamm beobachten. Aber auch im Seichtwasser im verlandeten Bereich am Auslauf der Deindorfer Lacke präsentiert der Seidenreiher seine verschiedenen Jagdmethoden. Er läuft rasch durch seichtes Wasser und greift mit blitzschnellen Seitenhieben aufgescheuchte Beutetiere wie kleine Fische, Krebstiere, Wasserinsekten und Frösche. Auch pirscht er sich mit vorsichtigen Schritten an die Beute heran, um dann blitzschnell zuzupacken. Im Schlamm versteckte Beute scheucht er gern durch heftiges Zittern mit dem Fuß auf.
Bevorzugte Lebensräume der Seidenreiher sind Sümpfe mit lockerem Baumbestand und Büschen und üppig bewachsene Altwässer an großen Flüssen. Sie lieben ausgedehnte, offene, seichte Flachwasserbereiche und naturnahe Überschwemmungsgebiete, auch durchwachsene Tümpel und umbuschte und umwaldete Teiche. Unverpaarte Jungvögel ziehen in den Sommermonaten in kleinen Trupps umher. Je nach geografischer Lage sind die Seidenreiher Standvögel, Kurz- oder Mittelstreckenzieher und überwintern an der iberischen Halbinsel, in der Türkei und in Nordafrika. Die europäischen Seidenreiher ziehen Ende August bis Anfang Dezember nach Süden und Südwesten in ihre Winterquartiere und kehren im März zu ihren Übersommerungsgebieten und Brutplätzen zurück, wo sie dann eine Saisonehe eingehen.
In der Roten Liste der International Union for Conservation of Natur (IUNC) gehört der Seidenreiher heute noch nicht zu den bedrohten Vogelarten.
Günter Geiß